Sei wie du bist! Irgendwann kommt es sowieso raus

Aufführung der DS-AG des Jahrgangs Q2

Selbstverwirklichung und Individualismus sind Ideale unserer Gesellschaft. Doch der Wunsch nach Besonderheit mündet nicht mehr in Eigensinn und persönlichen Ausdruck, sondern ist längst standardisiert. Anders sein macht am meisten Spaß, wenn es genug andere auch sind.

Mit diesem Credo der Gesellschaft haben sich zehn Abiturienten seit Herbst in einer Theater AG beschäftigt und nun in einer abwechslungsreichen Collage unter dem Titel „#selbst du sei“ auf die Bühne gebracht. Mit gewollt origineller Kostümierung spielen sie auf verschiedenen Ebenen das Mantra der Selbstverwirklichung durch: ironisch und witzig, bissig und politisch inkorrekt, aber auch selbstverliebt und melancholisch. Wie ein Refrain zieht sich dabei Robert Gernhardts „Gebet“ durch die Szenen, in dem es am Ende heißt: „Preise künftig meinen Namen/ denn sonst setzt es etwas. Amen“. Mal wird es pathetisch, mal kindlich, mal erotisch und aggressiv vorgetragen. Die Geschöpfe empfinden sich selbst als Schöpfer und laden zum Schluss Priestern gleich ihr Publikum – mit „Werthers Echten“ – zum Abendmahl ein: „Nimm es hin/dass ich was Besond‘res bin“.

Die Verirrungen des Selbstverwirklichungsdiktats treiben schönste Blüten: Marten projiziert seinen Wunsch nach einer Beziehung auf sein Fahrrad Steve, mit dem er das Ende seiner Tage allein auf der Veranda verbringen will und Jakob träumt sich seine Frau als Schokolade: „Am besten ist sie gut gebräunt und nicht so gut verpackt, damit man immer ran kann, wenn man mal Lust hat.“ Ludwig fühlt zwei Seelen in seiner Brust und muss sich am Ende gestehen, dass er nur einem Scheinbild seiner selbst aufgesessen ist. Und Jonas gibt in seinem Videoblog Tipps, auf welchen Wegen man zum Hipster-Look gelangt, dabei gelten die Hipster als Synonym für Menschen, die sich für Totalindividualisten halten, aber alle gleich aussehen.

Allen „Be-yourself“-Aufforderungen zum Trotz gibt es doch noch alle Jahre etwas Verbindendes, das den allgemeinen Individualtrieb zum Erliegen bringt: den Sommerhit mit seinen markanten Tanzmustern. Und so kommt es, dass sich alle in Reih und Glied zusammenfinden und der angenehmsten Uniformität frönen, wenn es gilt, den Macarena zu tanzen, den Ketchup-Song oder den Gangnam Style.

In einer körperlich ausdrucksstarken und sprachlich exakten Performance können die Spielerinnen und Spieler der Aufforderung zum Individualismus einige erhellende Facetten abtrotzen, um am Ende zu zeigen, wie man der Selbstüberforderung doch noch entkommen kann – mit einem Witz: „Don’t be yourself, be a pizza! Everyone loves pizza“.

THG

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